Young La Parks Arbeiten üben eine suggestive Kraft aus. Auf ihren Leinwänden und Papieren ist
vordergründig nicht viel zu sehen, und dennoch bergen sie einen ganzen Kosmos. Einige wenige Linien
suchen ihre Bahn, vereinzelte Bündelungen von zarten, vibrierenden Strichen treten aus der Bildtiefe hervor.
Der Untergrund verbleibt weiß, selten werden kleinere Flächen in Pastelltönen definiert. Reduktion und
Zurückhaltung charakterisieren das abstrakte Repertoire. Doch folgt jede Linie einer ihr eigenen
Ausdruckskraft. Diese kann von dynamischer Vitalität sein, präsent und unverrückbar auftreten aber ebenso
ein eher stockendes Vorwärtsziehens vermitteln. Mitunter endet sie unvermittelt, dünnt sich aus oder verliert
sich in zartem Auftrag. Manchmal durchkreuzt sie als Kontrapunkt ein sensibles Gespinst oder verdichtet sich
zu dunkleren Geweben aus kleinsten, unruhigen Strichelungen.
Bleistift, Kohle, und Kugelschreiber kommen zum Einsatz und übersetzen die inneren Bewegungen in
graphische Notate. Immer sind Bildgrund und Bildmotiv in eine ebenso perfekt ausgewogene wie
spannungsreiche Komposition gebracht. Die vorherrschende Leere des Bildraums ist Voraussetzung, nur so
können die sparsam einfügten Gesten ihre intensive Wirkung entfalten.
mmer wieder stellen sich Assoziationen an Vegetabiles ein. Äste und Blattwerk scheinen sich abzuzeichnen,
vermeintliches Dickicht versperrt die Sicht, Lianen hängen von oben herab. Auch Wolken, Wasser, Nebel und
Lichtreflexe scheinen abgebildet. Doch versucht das Auge, ein Motiv konkret zu erfassen, so entzieht sich
dieses; der mutmaßliche Gegenstand löst sich auf, weicht in einen nicht vorhandenen Bildraum zurück. Die
motivische Deutung mag einem elementaren Bedürfnis nach Orientierung und Zuordnung auf Seiten der
Rezipienten entspringen. Von der Künstlerin ist eine solche Konkretisierung des Bildgeschehens nicht
intendiert. Für sie geht es um größere Zusammenhänge, die nicht bei der Widergabe vordergründiger
Phänomene stehen bleiben.
Young La Park spricht davon, dass sich ihr die Linie während des Arbeitsprozesses mitteile. Dabei warte sie
selbst in einer gelassenen Haltung auf entsprechende Impulse, die sie – immer ausgerichtet auf ihre innere
Stimme - niederschreibe. Sie versteht sich damit als ausführendes Organ eines Informationsflusses, auf
dessen Ursprünge sie keinen direkten Einfluss nehmen kann.
Mit dieser Diktion steht Young La Park in einer langen Tradition, die in den informellen Bildschöpfungen nach
dem Zweiten Weltkrieg vielfältige wichtige Vorläufer kennt. Und doch unterscheiden sich die Werke Young La
Parks grundlegend von diesen Arbeiten. Gerade den europäischen Malern nach dem Zweiten Weltkrieg war
die Umsetzung eines inneren Prozesses bedeutsam. Viele von ihnen stellten das persönliche Erleben über
die gesellschaftspolitische Verantwortung. Die Erlebnisse in der Nazizeit und während des Zweiten
Weltkriegs hatte sie bewogen, sich von der Realität abzuwenden und in der Auseinandersetzung mit dem
eigenen Ich einen tieferen Sinn zu erfahren. Vor diesem Hintergrund können etwa auch die linearen
Verästelungen eines Bernard Schultze als psychische Introspektion verstanden werden, die in diesem
Selbstausdruck ihr Ziel finden.
Daneben mag auch Cy Twomblys Kompositionsprinzip – ein planer Grund, der mit abgekürzten, skripturalen
Zeichen versehen ist - für Young La Park formbildend gewirkt haben. Doch während sich Twomblys
kryptische Darstellungen mit konkreten historischen Inhalten verbanden, sind bei Young La Parks
Ausgangspunkt und Anliegen vollkommen anders begründet. Sie weist der Linie eine universelle Bedeutung
zu. Die Linie ist für sie gleichsam der potentielle Ausdruck aller sichtbaren Phänomene. Der Linie ist es
zueigen, die Welt in ihren Elementen und Existenzformen zu beschreiben, gleich ob es sich um Berge,
Gewächse, Lebewesen oder um von Menschen gestaltete Erzeugnisse handelt. Nach ihrer Überzeugung
drückt sich jedes Ding in einer spezifischen Weise aus. "Specific objects" nennt Young La Park daher ihre
Bildwelten. Dieses Spezifische möchte sie mit Hilfe der Linie ergründen. Ist der künstlerische Prozess
abgeschlossen und die perfekte Linie gefunden, so reflektiert sich in dieser das Wesen des Dargestellten. Es
geht also nicht um das Ding an sich, sondern um dessen Gehalt, ein Vorhaben, das folgerichtig in die
Abstraktion führen musste. Die Linie ist zur Metapher geworden und kann nun unterschiedliche existentielle
Erfahrungen zum Ausdruck bringen: das Aufstrebende, das Gebeugte, das Aufrechte, das Ruhende, das
Zögerliche, das Impulsive, das Dynamische und dergleichen mehr. Gleichzeitig können diese Linien als
energetische Spuren gelesen werden. Denn alles, was existiert, sendet Schwingungen aus, das gilt für
materielle Objekte ebenso wie für Lebewesen jedweder Art oder für Informationen, die auf der Basis von
Wellen übertragen werden. Selbst Handlungen und Taten hinterlassen im neurophysiologischen Bereich
Spuren, unser Leben schreibt sich in unsere Biographien ebenso ein wie bei den Menschen, mit denen wir in
Kontakt stehen. Der energetische Austausch ist dabei von unterschiedlicher Qualität, so divergierend, wie er
in grafischen Bewegungsmotiven von Young La Park festgehalten wird.
Young La Parks Vorgehen lässt an Wassily Kandinsky denken, der eine Farb- und Formmetaphorik
entwickelte und sich der Welt über synästhetische Effekte näherte. Bekanntermaßen sah er Analogien
zwischen Musik und Bildender Kunst und suchte nach Mitteln, das "Geistige in der Kunst" (1911) zur
Darstellung zu bringen. Kandinsky schrieb den Farben spezifische Eigenschaften zu, die, verbunden mit
ausgewählten Formen, mentale Befindlichkeiten zu erfassen vermochten. Unabhängig vom
Gegenständlichen oder Narrativen gelang es ihm auf diese Weise, grundlegende existentielle Aussagen zu
treffen. Ganz ähnliche Absichten verfolgt Young La Park, doch bedient sie sich eines anderen künstlerischen
Repertoires, welches der grafischen Komposition den Vorrang einräumt.
Beide Künstler verbindet zudem der Sachverhalt, dass sie sich an eine Realität wenden, die jenseits des
äußerlich Wahrnehmbaren liegt. Bei Young La Park spiegelt die Leere der Bildoberfläche auch die taoistische
Lehre wider. Nach dieser kann sich erst in der Versenkung und in der Absichtslosigkeit die Welt hinter den
Erscheinungen offenbaren. Die äußere Leere der Leinwand korrespondiert so mit einer inneren Leere, die
Abstand schafft zum geschäftigen Treiben alles Weltlichen. Nur wer sich auf diese Reise macht, wird mit
einer Fülle belohnt, die nicht im Materiellen zu finden ist, sondern den Reichtum in der Gewissheit
unerschöpflicher Potentiale erkennt. In ihren Leinwandbildern tauchen in letzter Zeit vereinzelt pastellfarbige
Partien auf. Diese bedeuten mehr als nur eine Modifizierung der Bildmittel, denn die weiße Hintergrundfläche
erweitert sich so in einen unbestimmten Tiefenraum. Unsere Weltvorstellung hilft uns bei der Enträtselung
dieser Vorgaben nicht weiter, denn der euklidische Raum ist offenkundig aufgegeben. Statt diesem aber gibt
sich eine Tiefendimension hinter dem Linienspiel zu erkennen, die für das Verständnis der Arbeiten Young La
Parks entscheidend ist; sie verdeutlicht, dass uns hier ein Blick in eine Welt erweiterter
Wahrnehmungsmöglichkeiten eröffnet wird, die nach dem Wesen der Erscheinungen sucht.